W. Helbich u.a. (Hgg.): Deutsche im Amerikanischen Bürgerkrieg

Cover
Titel
Deutsche im Amerikanischen Bürgerkrieg. Briefe von Front und Farm 1861-1865


Herausgeber
Helbich, Wolfgang; Kamphoefner, Walter
Erschienen
Paderborn 2002: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
580 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rainer Pöppinghege, Fakultät für Kulturwissenschaften und Neueste Geschichte, Universität Paderborn

„Jetzt soll und wird von allen Männern zwischen 18 und 45 Jahre gelooßt, wen es trifft soll ins Feld oder einen Mann stellen. Das ist nun jar wenig nach dem Geschmack von den Bürgers und Geschäfts leuten, besonders auch nicht nach dem meinigen.“ Julius Wesslau war 1850 aus Preußen ausgewandert und verspürte als selbstständiger Tischler wenig Lust, im amerikanischen Bürgerkrieg zur Waffe zu greifen, wie er seine Eltern am 26. Oktober 1862 wissen ließ (S. 127). Mit seiner Abneigung stand er für eine Vielzahl deutscher Immigranten, deren Briefe aus den Jahren zwischen 1861 und 1865 in der vorliegenden Edition veröffentlicht sind. Insgesamt handelt es sich um 343 teilweise gekürzte Schriftstücke von 78 deutschstämmigen Auswanderern aus der Bochumer Auswandererbrief-Sammlung, die für die Angehörigen vorwiegend in Deutschland, teils in den USA bestimmt waren. Die Herausgabe folgt damit einer langen Tradition von Auswandererbrief-Editionen, wobei sie erstmals die Kriegssituation und -wahrnehmung in den Mittelpunkt stellt und die Briefe als Dokumente des Anpassungs- bzw. Integrationsprozesses in den USA begreift. Gleichzeitig werden sie unhinterfragt als authentische Quelle angesehen, obwohl neuere Forschungen zu Feldpostbriefen der beiden Weltkriege dies zumindest relativieren und die Bedeutung vorgefertigter Deutungsmuster hervorheben. Eines unterscheidet die Briefe des amerikanischen Bürgerkriegs jedoch von der Feldpost im 20. Jahrhundert: Sie unterlagen in der Regel offenbar keinerlei Zensur, was ihren Quellenwert in der Tat steigert. Angesichts von schätzungsweise vier Millionen Briefen des amerikanischen Bürgerkriegs drängt sich außerdem die Frage nach der Repräsentativität des publizierten Materials auf, die die Herausgeber recht forsch mit dem Hinweis auf die „breite Palette“ (S. 14) der beruflichen Orientierung der 78 zeitgenössischen Verfasser zustimmend beantworten. Die Briefe sind vorzüglich ediert und mit einem umfangreichen Register, Glossar, Kartenmaterial und detaillierten biografischen Informationen über die Schreiber versehen. Eine fundierte Einleitung (S. 25-99) gibt einen Überblick über die Geschichte des amerikanischen Bürgerkriegs und die Situation der Einwanderer aus Deutschland.

Im Jahrzehnt zwischen 1850 und 1860 kamen mehr als eine Million Deutsche nach Amerika. Sie ließen sich vor allem in den Nordstaaten nieder und bildeten eine „German community“, die in einigen Gegenden die größte Ethnie darstellte. Im amerikanischen Bürgerkrieg erwiesen sie sich als die „wehrwilligste“ Gruppe (S. 40), sowohl im Norden als auch im Süden: So war beispielsweise jeder zehnte Soldat der Nordstaaten-Armee deutscher Herkunft. Doch bildete der amerikanische Bürgerkrieg für sie kein wirksames Integrationsinstrument, ja die Briefe legen es nahe, von einer misslungenen oder zumindest ausgebliebenen Akkulturation (S. 82) zu sprechen. Man blieb unter sich, wählte einen deutschstämmigen Ehepartner, las deutsche Zeitungen – und ließ sich von deutschen Regimentern rekrutieren. Nur in seltenen Fällen waren bei den deutschen Einwanderern amerikanische patriotische Gefühle festzustellen. Nur selten hatten sie sich die Abschaffung der Sklaverei im Süden auf die Fahnen geschrieben, obwohl sie die Position des Nordens mehrheitlich unterstützten. Die meisten der Briefautoren traten aus finanzieller Notwendigkeit bzw. ökonomischem Druck in die Armee ein – eine Herzensangelegenheit war ihnen dieser Krieg nicht. Die Kriegsbeteiligung wirkte sich auch nicht auf die Realisierung des amerikanischen Traums von finanziellem Erfolg und sozialem Aufstieg aus. Eher ist es die Persönlichkeit, die für den gesellschaftlichen Aufstieg verantwortlich war: Wer schon vor dem Krieg in der Erfolgsspur lag, der blieb es auch nach seiner Heimkehr, wer zuvor wirtschaftlich nicht auf die Beine gekommen war, der hatte auch nach 1865 Probleme. Die Auswahl der vorliegenden Briefe lässt die These vom allgemeinen Amerikanisierungsschub durch die Kriegsbeteiligung zumindest für die große Gruppe der deutschstämmigen Immigranten als kaum noch haltbar erscheinen.

Die Edition ist biografisch strukturiert, d.h. alle Briefe eines Schreibers werden unter seinem Namen in ihrer chronologischen Folge veröffentlicht. Dies macht Wandlungsprozesse in den individuellen Wahrnehmungen sichtbar, erlaubt den Vergleich mit anderen „Auswandererkarrieren“ und lässt die Autoren deutlicher in ihren lebensweltlichen Zusammenhängen auftreten. Gleichzeitig verhindert dieses Ordnungsprinzip eine durchgängige inhaltliche oder chronologische Struktur. Der Sinn der getroffenen Aufteilung in die beiden Blöcke „Westlicher“ bzw. „Östlicher Kriegsschauplatz“ bleibt unklar, sieht man von der arbeitsteiligen Herangehensweise der beiden Herausgeber ab. Zwar lassen sich Belegstellen zu Örtlichkeiten und wichtigen Akteuren des Krieges über das Register erschließen, doch wäre es benutzerfreundlicher gewesen, die Edition anhand zentraler Wahrnehmungsmuster und Themenkreise zu strukturieren, auch wenn damit der Bestand auseinandergerissen würde – bis hin zu einzelnen Briefen, die sich über mehrere Themen auslassen. Gemeinsam ist vielen Briefen nämlich die Berichterstattung über die Lebensverhältnisse an der Front, die Darlegung von Motiven zum freiwilligen Eintritt in die Armee sowie das für die Deutschen fast egalitär anmutende Verhältnis zwischen den Mannschaften und den von ihnen gewählten Offizieren. Die Rolle Präsident Lincolns wird ebenso thematisiert wie der Vergleich mit den Verhältnissen in Deutschland. Da sich die Herausgeber für die biografische Zuordnung entschieden haben, sind diese zentralen Wahrnehmungs- und Deutungsmuster über den ganzen Band verstreut, was den Eindruck der mangelnden inhaltlichen Kohärenz hinterlässt.

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